Innehalten und hören

Artikel PNP vom 22.04.2014

Bei der deutschen Erstaufführung von Heinz Kratochwils "Passion" in der Evangelischen Kirche : André Gold (rechts). − Foto: Gärtner

Bei der deutschen Erstaufführung von Heinz Kratochwils „Passion“ in der Evangelischen Kirche : André Gold (rechts). − Foto: Gärtner

Altötting. „O Haupt, zum Spott gebunden / mit einer Dornenkron …!“ Eine Dornenkrone lag, für die wenigsten Besucher einsehbar, als Artefakt auf dem Altar der Kirche „Zum Guten Hirten“. Ein für alle sichtbares Holzkreuz, von einem schwarzen Schleier behängt, ragte links vom Altar empor, davor ein Podium. Das bestieg André Gold am Karfreitag punkt 20 Uhr, nachdem, unter (zur Situation wenig passendem) lange anhaltendem Applaus die „Evangelische Kantorei“ und danach das zehnköpfige „Ensemble Philharmonie Bad Reichenhall“ mit seinen Streichinstrumenten einmarschiert waren: zu einem musikalischen Ereignis, nicht nur für Altötting, nein – fürs ganze Land. Denn, so konnte André Gold schon Wochen zuvor bekannt geben, sein langjähriger Wirkungsort, von dem er in wenigen Tagen nach München wechselt, sollte in den Musikgeschichtshimmel als deutsche Erstaufführungsstätte der „Passion“ des kaum bekannten Wiener Komponisten Heinz Kratochwil (1933 bis 1995)eingehen.

Es gehört nicht nur Entdeckerneugier, sondern auch Mut und Kraft und viel Liebe zum Detail dazu, das mit einer guten Stunde zwar wohl kürzeste, doch viel Intuition in das musikalische Drama vom Leiden und Sterben Christi auf Golgatha verlangende Stück zu realisieren. Golds Lust auf Neues und sein Optimismus, einem Publikum Innovatives zu bieten, das sich „passionsmäßig“ nicht unbedingt freiwillig auf etwas anderes als Schütz und Bach einlassen mag, haben sich ausgezahlt. Ein schöneres, gelungeneres und von viel Dankbarkeit begleitetes Abschiedskonzert hätte der 34-Jährige sich nicht wünschen können.

Zum Erfolg des eigentlich niederdrückenden, immer wieder an die Bilder des Kreuzes, der Dornenkrone und des von Blut und Wunden zermarterten Antlitzes des Gekreuzigten mahnenden Melodrams der Christenheit trugen Chor, Orchester und Solisten wesentlich bei. Pfarrer Hans-Ulrich Thoma traf den zurückhaltenden Ton des Evangelisten so gut wie sich Beate Adler, die Sprecherin der Texte von Sigrid Schweiger, bemühte, so wenig Pathos wie möglich in die Appelle zum Innehalten und Hören zu legen.

Der aus dem Mozarteum hervorgegangene, geschmackvoll auftretende junge bühnenerfahrene Bassist David Steffens hatte es beileibe schwer. Nicht nur gegen das phonstark begleitende Cello anzusingen, sondern vor allem den diversen Parts gerecht zu werden, die ihm der Komponist (oder der Dirigent, das ist hier die Frage) zumuteten. So blieb dieser Aspekt eindimensional – sowohl in der Farbgebung als auch in der Dramatik. Die wagte der Chor an einigen Stellen seines in den elf Bach-Chorälen, die Kratochwil schlichtweg übernahm, manchmal zu sorglos prononcierenden Passagen sehr wohl. Damit unterstrich man, vielleicht ungewollt, den derzeitigen Trend zur „Passions“-Dramatisierung eines John Neumeier (Hamburg) oder eines Peter Sellars (Berlin).

Ob die impressionistisch-eklektische Dodekaphonie des angeblich „chorsüchtigen“ Professors Heinz Kratochwil (eindrucksvoll zweifellos das Vor- und gleichlautende Nachspiel mit dem brillant die „O Haupt voll Blut und Wunden“-Melodie intonierenden philharmonischen Solocello) sich weiter im deutschen „Passions“-Aufführungsmetier wird halten können, ist fraglich. Das evangelisch-lutherische Altötting hat jedenfalls einen beachtenswerten Anfang gemacht.     –      Hans Gärtner

Hier noch ein Bild von unserem Freund und Fan Konrad Heuwieser

Links André Gold, im Vordergrund stehend der hervorragende Bassist David Steffens (Jesus), links von der Bassgeige Beate Adler (Meditationstexte) und stehend links daneben Pfarrer Hans-Ulrich Thoma (Evangelist)

Links André Gold, im Vordergrund stehend der hervorragende Bassist David Steffens (Jesus), links von der Bassgeige Beate Adler (Meditationstexte) und stehend links daneben Pfarrer Hans-Ulrich Thoma (Evangelist)


 

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